Wir stellen uns gegen die Orbanisierung!
Die Landesflüchtlingsräte weisen alle Versuche mit Nachdruck zurück, ihre Menschenrechtsarbeit zu kriminalisieren. Die Arbeit der Flüchtlingsräte ruht in allen Bundesländern auf einer breiten Unterstützung durch Kirchen, Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände, Arbeitsmarktakteure, Teilen der Politik und zahllosen Bürgerinitiativen. Die von BAMF-Präsident Sommer und den Mitgliedern der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Middelberg und Frei öffentlich erhobenen Unterstellungen angeblich rechtswidriger Aktivitäten und den Versuch ihrer Kriminalisierung per Gesetz weisen die Landesflüchtlingsräte entschieden zurück. Mit dieser Kampagne aus Unionskreisen werden einer Orbanisierung der Bundesrepublik Vorschub geleistetund bestehende Rückkehrrisiken in Afghanistan banalisiert.
Wir erinnern daran, dass Abschiebungstermine früher in der Regelvon den Behörden selbst mitgeteilt wurden. Begründet wurde dies mit der Notwendigkeit, die Interessen der Betroffenen umfassend zu berücksichtigen und ihre Würde zu wahren. Erst mit dem 2015in Kraft getretenen sog. „Asylkompromiss 1“ istden zuständigen Behörden eine Ankündigung solcher Termine untersagt. Nichtdie Flüchtlingsräte, die ebenso wie die Seenotrettungsorganisationen 2015 gefeatured und gefeiert wurden, sondern diePolitik der Bundesregierung und ihrer Verwaltungen hat sich geändert. Die Politik hat sich entschieden, nicht mehrSolidarität und Mitgefühl, sondern Feindseligkeit und Kriminalisierung gegenüber Geflüchteten und ihren Unterstützer*innen zur Richtschnur ihres Handelns zu erheben.
Diese Politik –und nicht das Engagement der Landesflüchtlingsräte –gefährdet den Rechtsstaat.
Unter Führung von Bundesinnenminister Horst Seehofer schreitet die Orbanisierung der deutschen Politik voran.Dazu passt, dass seit 2015 die Asylschutzquoten restriktivnach unten korrigiert wurden. Lag diese für afghanische Flüchtlinge 2015 noch bei bereinigt 80%, so ist sie bis 2018 auf gerade einmal 50% abgesunken, obwohl der Krieg in Afghanistan 2018 mehr Tote einforderte, als in Jemen oder Syrien. Asylanträge mit Verweis auf angeblich sichere Gebiete abzulehnen und Abschiebungen nach Afghanistan zu forcieren ist zynisch.
„Anstatt gegen Flüchtlingsräte zu hetzen, sollte BAMF-Leiter Sommer dafür sorgen, dass seine Behörde wieder seriös arbeitet, Schutzsuchende zu ihrem Recht kommen und die Verwaltungsgerichte entlastet werden»,fordert Birgit NaujoksvomFlüchtlingsrat NRW.
Vor Abschiebungen zu warnen bedeutet, dass einige wenige Geflüchtete noch die Gelegenheit wahrnehmen können, ihre Rechte vor Behörden und Gerichten einzufordern. Das ist unabdingbar. Denn Familien 1Siehe https://www.lto.de/recht/justiz/j/rechtsstaat-sicherheit-gewaltmonopol-polizei-begriff-bedeutung2https://www.huffingtonpost.de/entry/afghanistan-kein-krieg-ist-todlicher-warum-deutschland-trotzdem-abschiebt_de_5c1269b3e4b0449012f75bb13https://www.frsh.de/fileadmin/pdf/Aktuelles/UNHCR-Afghanistan-Richtlinie_20180830.pdfauseinanderreißen, Schwangere und Kranke abschieben, Menschen aus der Ausbildung zu reißen -das sind keine Einzelfälle, das dokumentieren Landesflüchtlingsräte inzwischen als strukturelles, menschenrechtliches Problem.
Beratung durch die Flüchtlingsräte erfüllt eine wichtige Rolle im Rechtsstaat, indem Asylsuchende in jedem Stadium ihres Verfahrens über ihre Rechte und Pflichten aufgeklärt werden, während der Staat bei der praktischen Verwirklichung des effektiven Rechtsschutzes, eines Grundrechtes, häufig versagt oder sich unwillig zeigt. Mit dem Bekanntwerden von Abschiebungsterminen wird möglicherweise Betroffenen bewusst, dass sie eine letzte Chance haben zu prüfen, ob Rechtsmittel einzulegen sind.
Der Angriff aus der Union zielt auf die gesamte Beratungs-und Unterstützungsstruktur in Deutschland. Angesichts des o.g. bundesbehördlichen Versagens ist dieses zivilgesellschaftliche Engagement oft lebenserhaltend. Es würden sonst Menschen abgeschoben, die Schutz brauchen und aufgrund von Fehlentscheidungen der Behörden dann in Abschiebeflieger gerieten.Ein demokratischer Rechtsstaat muss es nicht nur tolerieren, sondern sogar fördern, dass seine Zivilgesellschaft in Form von Beratungsstellen, Wohlfahrtsverbänden, Kirchen und Flüchtlingsinitiativen helfen, falsche Behördenentscheidungen zu korrigieren.»Es ist ein Mythos, dass die Abschiebemaschinerie durch E-Mails, Posts, Tweets und das Benennen konkreter Termine ins Wanken gerät“, so Birgit Naujoks. Uns geht es um das demokratische Recht, in der Gesellschaft ein kritisches Bewusstsein für potenzielle Lebensgefährdungen von hierzulande Schutz Suchenden zu fördern.“Deswegen arbeitendie Landesflüchtlingsräte eng vernetzt mit Bündnissen wie z.B. PRO ASYL, der Seebrücke, #unteilbar und We’ll Come United.
Hintergrund: § 95 AufenthG-E: Strafvorschriften
In dem Referentenentwurf werden zwei neue Strafvorschriften vorgeschlagen, die je mit bis zu drei Jahren Haft oder Geldstrafe bestraft werden können. Der erste neue Straftatbestand stellt es unter Strafe, die Vollziehung einer bestehenden Ausreisepflicht zu beeinträchtigen, indem man über geplante Maßnahmen zur Identitätsfeststellung ausreisepflichtiger Ausländer mit dem Ziel einer Behinderung derselben informiert (§ 95 Abs. 2 Nr. 3a) AufenthG-E). Wie die Gesetzesbegründung erkennen lässt, wird hier den Beratungsstellen unterstellt, dass sie Tipps zur Verschleierung der Identität geben würden.
Unabhängige Beratungsstellen erfüllen eine wichtige Funktion im Rechtsstaat, indem sie schutzsuchende Menschen über ihre Rechte und Pflichten aufklären. Insbesondere für Menschen aus anderen Ländern und Rechtssystemen, die dazu nicht die deutsche Sprache sprechen, ist dies sehr wichtig. Das zu Tage kommende Misstrauen des Bundesinnenministeriums gegenüber diesen Beratungsstellen ist äußerst problematisch. Die Formulierung ist zudem so unkonkret, dass selbst BeraterInnen, die ihre MandantInnen beraten und unter Umständen weitere rechtliche Schritte empfehlen, unter diesen Straftatbestand fallen könnten.Zweitens soll die Veröffentlichung von Abschiebungsterminen unter Strafe gestellt werden (§ 95 Abs. 2 Nr. 3b) AufenthG-E). Wie die Gesetzesbegründung präzisiert, bezieht sich dies zum Beispiel auf die Verbreitung der Information über Newsletter oder in den sozialen Medien.
Die Veröffentlichung von Abschiebungsterminen dient verschiedenen legitimen Interessen. Zum einen bietet es potentiell betroffenen Menschen die Möglichkeit, sich rechtlichen Rat zu holen. Zum anderen sind Abschiebungen, insbesondere jene nach Afghanistan, Teil einer öffentlichen Debatte, die insbesondere durch die Veröffentlichungen angeregt wird. Das Recht, Informationen zu erhalten und zu verbreiten, sowie die Pressefreiheit sind als Teil des Rechts auf Meinungsfreiheit durch Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz, Art. 10 Abs. 1 EMRK und Art. 19 Abs. 2 IPBPR geschützt.
Mit diesen Rechten und dahinterstehendenInteressen setzt sich das Bundesinnenministerium gar nicht erst auseinander. Die vorgesehenen Einschränkungen dieser Rechte wird mit der „Bewährung des Rechtsstaats“ und des „besonderen Unrechtsgehalts“ des unter Strafe gestellten Verhaltens begründet, außerdem könnte mit der Vorschrift die Weitergabe von vertraulichen Informationen verhindert werden –warum es sich dabei tatsächlich um vertrauliche Informationen handeln soll, wird nicht erläutert. Erforderlich wäre darüber hinaus schon nach ständiger Rechtsprechung des EGMR eine Abwägung, bei der ein öffentliches Interesse an der Information, die vorhanden ist, ein entscheidendes Argument ist.4Der Spielraum von Staaten zur Beschränkung der Informationsfreiheit ist besonders eingegrenzt, wenn es um die Pressefreiheit geht, da der Presse eine besonders wichtige Rolle in einer Demokratie zukommt.54Birgit Daiber, HK-EMRK, 4. Aufl. 2017, EMRK Art. 10, Rn. 63.5EGMR, Animal DefendersInternational v. Großbritannien, Az.48876/08, Urteil vom 22.04.2013, Rn. 102.
Angesichts des hohen öffentlichen Interesses z.B. an Abschiebungen nach Afghanistan und der Rolle der Medien bei der Veröffentlichung von Terminen von Abschiebungsflügen ist es nicht verhältnismäßig, eine Veröffentlichung dieser Information unter Strafe zu stellen. Auch würde es negative Auswirkungen auf das Demonstrationsrecht haben, da für einen Aufruf zur Demonstration gegen einen Abschiebeflug eben auch der Termin bekannt gegeben werden muss.Die Vorschläge sind nicht nur als menschenrechtswidrig,sondern auch politisch abzulehnen, da sie eindeutig das Ziel haben, eine engagierte Zivilgesellschaft zu kriminalisieren. Dies ist ein besorgniserregender internationaler Trend, der auch im jährlichen Bericht des UN-Sonderberichterstatters zu MenschenrechtsverteidigerInnen 2018 aufgegriffen wurde. Wie der Berichterstatter feststellt, werden UnterstützerInnen von geflüchteten Menschen zunehmend kriminalisiert, was auch einen „chilling effect“ haben kann, d.h. eine Abschreckungswirkung, die dazu führt, dass sich weniger Menschen in dem Bereich engagieren.6Dies lässt sich besonders auf die erste neue Strafvorschrift beziehen, da diese Regelung Menschen davon abhalten könnte, überhaupt erst mit einer Beratungstätigkeit anzufangen. Auch die Kriminalisierung von Whistleblowern problematisiert der Berichterstatter und empfiehlt, entsprechend die Meinungs-und Informationsfreiheit nicht einzuschränken. Die vorgeschlagenen Strafvorschriften sind verfassungs-und menschenrechtswidrig und sind ersatzlos zu streichen.